„The Substance“ – Der ekligste, feministische Film des Jahres - Philtrat (2025)

Begehrt sein – aber um welchen Preis? In „The Substance” erkundet Coralie Fargeat genau diese Fragestellung aus einem dezidiert feministischen Standpunkt. Dabei macht sie Gebrauch von Body-Horror-Elementen und demonstriert so die Absurdität eines konstanten Strebens nach Schönheitsidealen.

Von Lessika Landao; Bilder: © Blacksmith/Working Title Films

Wenn du die Möglichkeit hättest, ein jüngeres, schöneres und heißeres Du zu schaffen, würdest du diese Chance ergreifen? Mit dieser Frage sieht sich Elisabeth Sparkle (Demi Moore) konfrontiert, die Protagonistin von „The Substance“, dem neuesten Film der französischen Regisseurin und Drehbuchautorin Coralie Fargeat.

Fargeat fiel bereits 2017 mit ihrem Filmdebüt „Revenge” auf, das aufgrund seiner extremen Darstellung von Blut und Gewalt für Aufsehen unter Kritiker*innen und das Publikum gleichermaßen sorgte. „The Substance” tritt in ähnlich blutige Fußstapfen, denn in diesem Film nutzt Fargeat gekonnt diverse Body-Horror-Elemente, um auf satirische Weise die Erwartung an Frauen zu kritisieren, für immer jung, heiß und begehrt zu bleiben.

Body Horror ist ein Subgenre des Horror-Genres, das gekennzeichnet ist durch eine destruktive, groteske, nahezu monströse Verformung des menschlichen Körpers, welche ein starkes Gefühl des Ekels und des Abscheus beim Publikum hervorruft. Für den künstlerischen Umgang mit der Frage, welchen Erwartungen weibliche Körper unterliegen, scheint das Genre Body-Horror dabei besonders prädestiniert, geht es hier doch explizit eben nicht darum, Körper rein und gesund zu halten und konventionelle Schönheitsnormen zu reproduzieren, sondern um das Gegenteil: Körper und ihre Zerstörung auf so absurde Weise zu inszenieren, dass es die Zuschauerin bis in die letzte Pore graust. Damit reiht sich „The Substance” in eine neue Generation von Filmen ein, die genau diese Schnittstelle zwischen Body Horror und Feminismus erkennen und ausnutzen, wie beispielsweise „Raw” oder „Titane” von Julia Ducournau.

Schönheit um jeden Preis?

Doch zurück zu „The Substance”: Die 50-jährige Protagonistin Elisabeth Sparkle war einst eine bekannte und Oscar-ausgezeichnete Film- und Fernsehikone. Zu Beginn des Filmes steht ihre Karriere jedoch am Abgrund. Sie ist älter und damit nach den Maßstäben einer patriarchalen, misogynen Gesellschaft weniger begehrenswert geworden. Kurz darauf wird sie von ihrem Job als TV-Fitness-Lehrerin von ihrem Chef Harvey (Dennis Quaid) entlassen, der sich ohne zu zögern auf die Suche nach einem Ersatz macht.

Am selben Tag wird Elisabeth auf mysteriösem Wege eine Droge angeboten, welche verspricht, ein jüngeres Double der Konsumentin zu erschaffen, das aber trotzdem „eins” mit ihr bleiben soll. Nachdem sie die Droge genommen hat, wird eine erwachsene Frau, ihre Doppelgängerin Sue (Margaret Qualley) gewaltsam aus ihrem Rücken geboren. Elisabeth und Sue sind jedoch nicht unabhängig voneinander: Nur während die eine sich in einem komaähnlichen Zustand befindet, kann die andere ihr Leben frei leben, muss sich aber in dieser Zeit um die körperlichen Bedürfnisse der anderen sorgen.

Ein feministischer Kampf zwischen Schöpferin und Schöpfung

Nach der Geburt von Sue entsteht schnell ein Konkurrenzkampf zwischen Schöpferin und Schöpfung aka Mutter und Tochter. Denn eine Voraussetzung der Droge ist, dass Elisabeth und Sue sich alle sieben Tage abwechseln müssen. Als Sue, die „noch“ begehrte Version von Elisabeth, als die neue Muse von Harvey aufgenommen wird, und das Abkommen nicht einhält, ist es der Körper von Elisabeth, der die Konsequenzen dieser Entscheidung spüren muss. Der Suspense besteht darin, sich zu wundern, ob Elisabeth, einmal in ihrem Körper zurückgekehrt, versuchen wird, das Experiment zu beenden, oder ob sie vollkommen dem Schönheitsideal verfallen wird.

Den Kern des Films bildet dieses Verhältnis zwischen Elisabeth und Sue. Für Elisabeth wie auch für Sue gibt es keine Grenze, vor der sie Halt machen, um begehrt zu bleiben. Sie scheuen sich nicht mal davor, sich selbst oder andere zu verletzen.

Weder die Kernaussage noch die Darstellungsweise des Films ist subtil, doch ist dies ein Attribut, das Fargeat gekonnt ausnutzt, um auf direktem Wege ihre Kritik über die Erwartungen an Frauen zu üben, ständig danach streben zu müssen, begehrt zu sein. Fargeat scheut sich ebenfalls nicht davor, mit dem Finger auf den Schuldigen zu zeigen, welcher für dieses Leid verantwortlich ist: das Patriarchat, das personifiziert wird durch die Figur des Produzenten Harveys, der in einer Welt, die besessen vom Schönsein ist, durch seine innere wie äußerliche Widerlichkeit heraussticht (in der ersten Szene, in der wir Harvey sehen, uriniert er, ohne sich anschließend die Hände zu waschen).

Fargeat zeigt jedoch bewusst, dass diese Erwartungen nicht nur (wenn auch vorwiegend) Frauen betreffen – der erste Konsument dieser Droge, der dem Publikum vorgestellt wird, ist schließlich ein Mann.

Eine künstlich wirkende Welt

Um diese Thematik zu erkunden, schafft Fargeat eine künstliche, parallel wirkende Welt, durch die Verwendung von grellen Neonfarben und einem Produktionsdesign, das teilweise an die Ästhetik der 80er-Jahre erinnert. Zudem erhöhen Aufnahmen von Gesichtern aus der Fischaugenperspektive den künstlichen Charakter des Films, wodurch er wie eine Parodie unserer Realität wirkt. Durch den Einsatz von Body-Horror-Elementen spielt Fargeat mit dem Ekelgefühl des Publikums, um zu verdeutlichen, zu welch extremen Maßnahmen Frauen bereit sind, um begehrt zu bleiben: ein Rücken wird aufgerissen, Nadeln werden gefühlt unendlich oft in die Wirbelsäule unserer Protagonistin gejagt, Essen wird aus Bauchnabeln gezogen – und dies alles, paradoxerweise, im Namen der Schönheit. Doch der Gipfel des Ekels wird im dritten Akt des Films erreicht, in einer Body-Transformation-Szene, welche die leichte Überlänge des Films mit seiner Groteskheit beinahe wieder wett macht.

In Erinnerung bleibt zudem der pulsierende Soundtrack vom britischen Komponisten Raffertie, welcher passend zum schnellen, hektischen Tempo des Films durch den Film wie eine Droge pulsiert.

„The Substance” kritisiert mit der Subtilität eines Vorschlaghammers die Schönheitsideale, die primär Frauen von einer patriarchalischen Gesellschaft auferlegt werden. Anhand der Verwendung von Body-Horror-Elementen demonstriert Fargeat zudem die Unmöglichkeit, stets nach der Erfüllung dieser Ideale zu streben. Wer sich also nach einem Film sehnt, der sich nicht davor schont, dezidierte feministische Aussagen zu machen, ist bei einer Kinovorstellung von „The Substance” gut aufgehoben.

„The Substance” feierte seine Premiere beim 77. Filmfestival von Cannes und gewann dort den Preis für das beste Drehbuch. Der Film erschien am 19. September 2024 in die deutschen Kinos.

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